Erstellt am: 03.06.2023 13:34
Von: Diakon Manfred Zoll, Leiter der Kirche Unterwegs, Weissach im Tal


Über Grenzen

Der Geist Gottes ist stark wie der Wind!


Der erste Atemzug eines Menschen ist ein heiliger Moment und eine wirkliche Grenzüberschreitung: der kleine Mensch ist abgenabelt und atmet von nun an selbst und ganz automatisch. Einatmen, ausatmen, im steten Rhythmus des Lebens. So lange, bis er sein Leben aushaucht. So ist auch der letzte Atemzug ein heiliger Moment und eine Überschreitung der Grenze vom Leben zum Tod.

Atmen ist das stärkste Grundbedürfnis eines Menschen. Man kann etliche Tage ohne Nahrung sein, zwei bis drei Tage ohne Flüssigkeit, auch mal ein oder zwei Nächte schlaflos durchfeiern – aber ohne Luft überlebt man nur ein paar Minuten. Wenn die Luft verunreinigt oder vergiftet ist, kann man sich ihrer nur für einen kurzen Moment erwehren. Dem Grundbedürfnis zu atmen, müssen wir nachkommen – koste es, was es wolle.

Mit dem hinter uns liegenden Pfingstfest erinnern die Kirchen an den Heiligen Geist. Mit „Geist“ verbinden wir eher den Gedanken an ein Gespenst, an Grusel und Gänsehaut.

Interessanterweise bedeutet das ursprüngliche biblische Wort für „Geist“ (die „Ruach“) Atem, Hauch, Wind, Sturm ebenso wie leichte Brise: bewegte Luft! Der Heilige Geist hat also nichts mit herumgeistern oder Halloween zu tun, auch nicht mit dem Gespenst unterm Bett, im Keller oder wilden Spinnweben, in denen man sich verheddert. Der Geist Gottes ist die lebensnotwendige Energie, die Kraft Gottes. Zu Beginn des Lebens hauchte Gott dem Menschen seinen Lebensatem ein – ich stelle mir vor, dass er sofort seinen ersten Schrei ausstieß, wie das Neugeborene, das mit seinem ersten Atemzug erstmal laut brüllt. Der Geist Gottes ist Gottes liebevolle Zuwendung – so wie Mama oder Papa zärtlich das aufgeschlagene Knie des Kindes anhauchen, und das Kind bald sagt: „Besser.“

Der Geist Gottes, das ist die unendliche Kraft Gottes – wie der Wind, der bereits als leichte Brise die Segel des Schiffes strafft, so dass es flink übers Wasser gleitet.

Der Geist Gottes ist stark wie der Wind, der das Windrad dreht, der Sturm, der die Bäume biegt, der Orkan, der das Wasser zu turmhohen Wellen aufpeitscht.

Das Wort „Geist“ ist ein Bild und zugleich Gottes Wirklichkeit: Ich nehme beides und frage mich: Kann ich Gottes Wirken so vertrauen, wie ich der Luft vertraue, die ich in stetem Rhythmus unwillkürlich einatme und ausatme, kann ich Gott so wie die Luft in mir aufnehmen als etwas Selbstverständliches, Normles und im Alltagsrhythmus mit ihm leben? Möchte ich Gott in seiner Zuwendung und Liebe als meinen inneren Antrieb wirken lassen, seine starke Kraft als Bewegungsenergie empfangen? Damit würde aus dem Ungewöhnlichen etwas Normales, aus dem Göttlichen etwas Menschliches – und Gottes Grenzüberschreitung käme mir zugute.

Diakon Manfred Zoll, Leiter der Kirche Unterwegs, Weissach im Tal