Erstellt am: 19.06.2012 15:10
Von: Pfrin. z.A. Stefanie Hoffmann, Backnang


Zapfenstreich

und die Macht der Liebe - Gedanken zum Backnanger Straßenfest


Es ist der vierte und letzte Tag des Backnanger Straßenfestes und ich mache mich noch einmal auf den Weg in die Stadt. Zapfenstreich. Als Neuzugezogene weiß ich nicht, was mich erwartet. Zapfenstreich? Was ist das eigentlich? Das gibt es doch sonst bei der Bundeswehr. Hat es nicht auch damit zu tun, dass der Ausschank beendet und kein Bier mehr gezapft wird? Selbst miterlebt habe ich dieses Ritual jedenfalls noch nicht. Schon bald stehe ich auf dem Marktplatz in der Menge und lausche den Klängen der Musik. Auf einmal bekommen meine Pfarrersohren Bekanntes zu hören: „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart. Ich geb mich hin dem freien Triebe, wodurch auch ich geliebet ward. Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken.“ Warum wird beim Zapfenstreich ein Lied aus dem Kirchengesangbuch gespielt, frage ich mich. Manche singen innbrünstig mit, andere wissen wohl kaum, dass hier gerade eine religiöse Dimension zum Tragen kommt. Gerhard Tersteegen (1697-1769), aus dessen Feder „Ich bete an die Macht der Liebe“  stammt, hätte vermutlich nicht zu den Besuchern des Straßenfests gehört. Seinen Beruf als Kaufmann hatte er niedergelegt, um ein enthaltsames, zurückgezogenes Leben in der Nachfolge Jesu zu führen. Ein bloßer Sonntags- oder Namenschrist wollte Tersteegen nicht sein. Dass der Glaube nicht nur im Kopf, sondern in den Herzen der Menschen ankommt, war sein Anliegen. Mit seinen Liedern und Gedichten ist es dem frommen Mystiker gelungen, Herzen zu berühren – weit über seine Zeit hinaus. Als der preußische König Friedrich Wilhelm III während der Befreiungskriege ein russisches Feldlager besichtigt, erlebt er, wie die Soldaten nach dem allabendlichen Zapfenstreich noch einen Choral singen. Tief beeindruckt von der Sitte des russischen Heeres lässt er 1813 per Kabinettsorder Entsprechendes für die preußischen Truppen einführen. Dass sich „Ich bete an die Macht der Liebe“ mit seiner weichen, gefühlvollen Melodie als Choral schnell durchsetzt, wundert kaum. Kritisch angemerkt werden muss in diesem Zusammenhang freilich auch, dass die Macht der Liebe Gottes in Jesus Christus immer eine Macht des Friedens ist, welche die Machtausübung durch Waffengewalt in Frage stellt. Beim Zapfenstreich 2012 in Backnang werde ich jedenfalls wissender und bewusster zuhören, verbunden mit dem Wunsch, dass die Liebe Gottes in unserer Welt immer wieder zum Klingen kommt; dass sich diese Macht immer wieder neu durchsetzt – in Kirchen, auf Marktplätzen und in Menschenherzen. Ich wünsche Ihnen allen ein fröhliches und friedliches Straßenfest! Pfrin. z.A. Stefanie Hoffmann

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