Erstellt am: 21.11.2012 09:41
Von: Gerhard Sattler, Klinikseelsorger


Tränen in der Adentszeit

Die Weihnachtsbotschaft ist manchen noch weit weg gerückt...


Geht es Ihnen auch manchmal so, dass Sie heimlich eine verstohlene Träne wegwischen, bei einem Film, der Sie anrührt, bei Worten, die Ihnen nahe gehen, oder wenn Ihnen unerwartet etwas Schönes widerfährt?
Mir ist es neulich so gegangen, als ich ein Buch von Jostein Gaarder gelesen habe, in dem erzählt wird von der Begegnung eines kranken Mädchens mit seinem Schutzengel. Der Engel begleitet das Kind durch die letzten Wochen seiner Krankheit, bis es schließlich seinen Körper wie ein Schmetterling verlässt. Nicht, dass es traurig gewesen wäre. Aber das Buch war schön. Zum Weinen schön.
In der Erzählung unterhält sich einmal das Mädchen mit seiner Großmutter und fragt sie: "Hast du gesagt, dass wir traurig werden, wenn etwas schön ist? Oder dass wir schön werden, wenn etwas traurig ist?" Und die Großmutter lässt die Antwort offen.

Wir wünschen einander in der Adventszeit wieder "Frohe Weihnachten". Doch seltsam: Es wird wohl selten so viel geweint wie in der Weihnachtszeit. Nicht dass sie traurig wäre. Aber etwas rührt uns an und erinnert an Träume und Sehnsüchte, die tief in uns verborgen sind. Vielleicht kommen uns ja auch nur deshalb die Tränen, weil die Botschaft so schön ist: Euch ist der Heiland geboren – der, der alles heil macht, was zerbrochen ist an Leib und Seele. Du bist nicht allein. Gott kommt dir nah und begleitet dich durch dein Leben.
Da sind die Hirten, die Engel, der Stall, das Kind. Alles ist so ärmlich und doch so schön. Wie die Erinnerungen, die zur Advents- und Weihnachtszeit gehören.
Doch in diesen Wochen werden wir eben auch erinnert an das, was uns fehlt, Gesundheit, Kraft oder Lebensperspektiven. Wir werden erinnert an das, was uns quält, Sorgen, Trauer oder irgendein Schmerz. Wir werden in dieser dunklen Zeit mehr als sonst erinnert an das, was sich in unserer Seele tut und was wir in der Geschäftigkeit des Jahres oft verdrängen.
Ich möchte dazu ermutigen, die Trauer zuzulassen und sich der Tränen nicht zu schämen, gerade in der Adventszeit. Denn unsere Sehnsucht und unser Schmerz, sie sind der Boden, in den die Botschaft fällt: Was dir wehtut, was dir Angst macht, das ist aufgehoben bei dem Kind. Dein Leben hat einen Sinn, so wie es ist. Es muss alles gut werden, mit allem, was dich quält und was dir fehlt.
Mag sein, dass dem einen oder anderen die Weihnachtsbotschaft weit weggerückt ist. Doch sie kann uns wieder nahe kommen, ganz nah. Am ehesten, wenn wir sie wieder singen, die schönen alten Lieder, wenn wir sie hören, die vertrauten Texte und Weisen. Mag sein, dass uns dabei wehmütig ums Herz wird. Mag sein, dass mancher heimlich eine Träne aus den Augen wischt. Vielleicht sind wir ja nur deshalb traurig, weil er so schön ist, der Zuspruch, der uns trifft:

"Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern.
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein."

Ich wünsche Ihnen von Herzen eine gesegnete Adventszeit.

Gerhard Sattler, Klinikseelsorger

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