Erstellt am: 19.12.2023 09:52
Von: Diakon Manfred Zoll, Kirche Unterwegs, Weissach im Tal


Es begab sich aber ....

Nur eine Geschichte?


Neulich sagte jemand: „Nichts ist so gefährlich, wie den eigenen Geschichten zu glauben.“ Dieser Satz elektrisierte mich. Warum? Weil ich plötzlich begriff, dass ich mir selbst permanent kleine Geschichten erzähle, die häufig so beginnen: „Früher war alles besser.“ „Heute bist du nirgendwo mehr sicher.“ „Auf wen kannst du dich verlassen?“ „Die Welt ist so kompliziert, wer blickt da noch durch …“ Und in schlaflosen Nächten erzähle ich mir viele Geschichten, die wie Brummkreisel meine Unruhe steigern, statt mich mit einem kräftigen „Aber“ aus dem Kreisen herauszureißen.

Warum ist es gefährlich, den eigenen Geschichten zu glauben? Weil sie bestätigen, was ich ohnehin schon weiß und meine kleine Welt in Gut und Böse einteilen – wobei ich natürlich zu den Guten gehöre. Und weil jede Geschichte meine eigenen Wahrheiten zementiert, wo eine neue Weite und Lebendigkeit von Nöten wären.

Klar, wir brauchen Geschichten, für uns selbst, unsere Kinder und Nachbarn, für Politik und Gesellschaft. Warum? Weil Geschichten uns das Leben lehren.

Darum ist es notwendig, neben den eigenen auch anderen Geschichten zu glauben. Zum Beispiel der alten Weihnachtsgeschichte (Lukas 2): „Es begab sich aber zu der Zeit …“ Ihr „Aber“ im ersten Satz rüttelt auf: Ihr habt Eure Geschichten. Aber hört, da gibt es noch was anderes. Das „Aber“ setzt eine Irritation, einen horizonterweiternden Widerspruch. Wenn wir es ignorieren, bleibt alles beim Alten. Wenn wir hinhören, gewinnen wir.

Ich weiß, es nervt, wenn jedes „Ja“ durch ein „Aber“ relativiert wird. Aber – schon wieder! – es hilft, anderes wahrzunehmen und meine Wahrheiten zu weiten. Das „Aber“ der Weihnachtsgeschichte öffnet den Himmel und zeigt eine Welt, die meine Welt berührt: Da ist die Jugendliche namens Maria, die ein Kind bekommt aus – menschlich betrachtet – unseriöser Quelle. Da ist der junge Mann namens Josef, der mit Maria verlobt war, aber angesichts der Schwangerschaft sich entscheiden musste: Wie verhalte ich mich zu meiner Verlobten? Da sind Volkszählung, Wohnungsnot, überfüllte Hotels, politische Machtspiele und verruchte Hirten. Auch der Himmel spielt mit in dem Konzert jener Nacht, die als die Heilige in die Geschichte einging. Gott adelt dieses Kind, und sein Name Jesus bedeutet: Gott hilft, Gott rettet.

Es ist gut, andere Geschichten als die eigenen zu hören, denn sie bieten Lösungsansätze, beispielsweise: „Wir bleiben uns treu, und ich vertraue dir, dass du mich nicht betrogen hast.“ „Wir finden eine Lösung für unsere Not, und Gott ist uns nah.“ So nehmen Erfahrungen mit Gott bei mir Raum, die als aufrüttelndes „Aber“ den Horizont meiner kleinen Welt öffnen und mir Gottes Gnade und Erlösung zeigen. Es ist gut, ihnen zu glauben.

Diakon Manfred Zoll, Kirche Unterwegs, Weissach im Tal


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