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Karl Hemmeter und die Matthäuskirche

Ein kleiner und schmächtiger Mann ist er, durch die Rachitis in früher Kindheit geprägt. Das Gehen macht ihm Mühe. Und doch geht ein freundliches Lächeln über seine Lippen. In seiner Hand ist stets eine rauchende Zigarre. Die Arme erscheinen fast überlang mit kräftigen Händen. Das ist das Bild von Karl Hemmeter, das so untrennbar mit seinen Werken in der Matthäuskirche verbunden ist. Die sachliche Strenge der Backsteinkirche des Stuttgarter Architekten Heinz Rall gewinnen in den Bildwerken des Münchener Künstlers Hemmeter ein menschliches Gesicht, der lebensgroße Osterleuchter, das strahlende Kruzifix auf dem Altar und die beiden Leuchter neben ihm.

Alle haben ihre eigene Geschichte, an die sich heute kaum noch jemand erinnert. Dekan in Ruhe Dieter Eisenhardt, ehemals Pfarrer der Matthäuskirche, erinnert sich gerne an die Begegnung mit dem Künstler. Er war es der den Kontakt zu ihm herstellte. Schon in seiner Brüdener Zeit und für die Missionsschule in Unterweissach hatte er mit dem Künstler zusammengearbeitet. Nun suchte er für die Matthäuskirche nach einer passenden Gestaltung.

Das bin ich

Geschmack an den Werken Hemmeters gewann die Gemeinde bei einer Kunstaustellung im Jahre 1982, die erste und letzte, die unter Polizeischutz in der Matthäuskirche stattgefunden habe, so erinnert sich Eisenhardt. Unter dem Titel „Christliche Kunst nach 1945“ wurden hier Werke so bekannter Künstler wie Stockhausen oder Henn präsentiert. Darunter auch der herrliche Leuchter von Hemmeter, der ganz unerwartet gut in die Matthäuskirche passte. Der Künstler hatte nicht die Absicht ihn herzugeben, steckte doch so viel von ihm darin. Der Kopf der Figur, die sich um dem Schaft des Leuchters schlingt, ähnelt dem Künstler. „Sehen Sie, das bin ich“ erläuterte er. Ich muss mich an dem Leuchter hochziehen, damit ich leuchten kann. Der immer wieder von Depressionen geplagte Künstler hat sich in diesem Bildwerk ein Denkmal gesetzt. Eine Kopie des Leuchters befand sich schon in der Kirche von Borgholzhausen bei Hannover. Nun sammelte man in der Matthäusgemeinde für die Anschaffung der zweiten Kopie. Zusammen mit Hemmeter begutachtete man den Ort, an dem der Leuchter künftig stehen sollte und er fand seinen Platz zwischen dem Altar und dem Taufstein, an dem er bis heute steht.

Blick in den Himmel

Ein herausragendes Kunstwerk in der Matthäuskirche ist auch das Altarkreuz von Karl Hemmeter. Doch kaum einer kennt seine bewegte Geschichte. Ursprünglich wurde dieses Kreuz für eine ganz andere Kirche in Bronze gegossen. Für die Dorfkirche in Firnsal im Schwarzwald sei es wohl angefertigt worden, so versucht sich Dieter Eisenhardt zu erinnern. Doch dort wurde es bald darauf gestohlen. Hehler versuchten es zu veräußern, was nicht gelang. Monate später tauchte es wieder auf – doch am Bestimmungsort hatte man längst eine Kopie der Plastik aufgestellt. Und so kam das Kreuz in die Matthäuskirche. Der damalige Kunstsachverständige der Landeskirche Kurt Schaal vermittelte es der Backnanger Kirche. Hemmeter war sofort überzeugt von seinem neuen Aufstellungsort. Er nahm jedoch eine Änderung am Kunstwerk vor: er polierte die Scheibe in Form eines griechischen Kreuzes hinter der Figur des Gekreuzigten und brachte sie so zum Glänzen. Schon beim Hereintreten in die Matthäuskirche leuchtet das Kruzifix auf dem Altar golden. Es symbolisiert wie das Gold in der Heiligenmalerei des Mittelalters den Himmel, der durch das Bildwerk hindurch sichtbar wird. Vor der massiven Backsteinwand der Matthäuskirche erscheint dies wie ein Durchbruch durch die Mauer, die sich meterhoch vor den Besuchern auftürmt. Der Himmel öffnet sich dem Blick in der kaum noch erkennbaren Form des Kreuzes. Doch dieser ist nur möglich an der zarten und gewunden Figur des Gekreuzigten vorbei. Es gibt keine christliche Hoffnung ohne das Leiden; doch das Leiden Christi wird überstrahlt von der Erfahrung der Auferstehung. So löst sich die Form des Kreuzes auf in eine leuchtende Fläche. Immer wieder hatte Hemmeter versucht dieses Thema in Kreuzigungs­darstellungen umzusetzen. In der evangelischen Kreuzkirche in Unterbrüden etwa finden wir ein Altarkreuz von ihm, bei dem die Figur des Gekreuzigten über das kaum sichtbare Kreuz aufsteigt. In Dettingen in St. Martin löst sich der Hintergrund des Kreuzes vor dem Auferstandenen in Strahlen auf. Doch nirgendwo finden wir solch eine sensible Kombination von menschlichem Leid und himmlischer Freude wie im Kreuz der Matthäuskirche.

Licht und Leben

Zwei Kerzenleuchter wünschte sich Karl Hemmeter auf dem Altar noch. Wie zwei Leutpunkte links und rechst neben dem Kreuz symbolisieren sie etwas österliches in der Gesamtkomposition. Was schon die Kinder der Kinderkirche in der Matthäuskirche fasziniert ist die Tatsache, dass er diesen beiden Leuchtern einen Namen gab: „phos“ und „zoë“ steht auf ihnen in großen griechischen Schriftzeichen, Licht und Leben, zwei zentralen Begriffen des Johannesevangeliums.

Kriegsende

Und noch ein Kunstwerk gibt es in der Matthäusgemeinde von Karl Hemmeter. Doch mit ihm tat sich die Gemeinde immer etwas schwer. Es ist eine fast lebensgroße Holzplastik einer gezeichneten Frau, die unter ihrem Mantel ein Kind an sich schmiegt. Es ist nicht Maria mit dem Jesuskind, wie viele Konfirmanden fälschlich meinen, sondern stellt eine Flüchtlingsfrau mit ihrem Kind dar. „Kriegsende“ ist der Titel, den die Plastik trägt. Hemmeter schuf sie für ein Kriegerdenkmal. Doch der Auftraggeber empfand sie als zu wenig heroisch, so erzählt Eisenhardt. Die Matthäusgemeinde stellte sie zunächst im malerischen Innenhof neben dem Brunnen auf, den es damals noch dort gab. Doch der Regen schadete der Plastik; sie wurde restauriert und steht nun im Foyer des Gemeindehauses. Hemmeter schuf die Plastik aus harter Eiche; man müsse mit dem Holz ringen und schaffen meinte er. In ihrer Art erinnert die Plastik an Werke von Käthe Kolwitz. Das fast apathische Gesicht der Frau erzählt von den schlimmen Erlebnissen von Flucht und Vertreibung. Keinerlei Freude über das Kriegsende ist in Ihrem Ausdruck abzulesen. Dennoch bietet sie ihrem Kind Sicherheit, so gut sie es vermag. Für Eisenhardt ist das Ausdruck des Bergenden überhaupt im Bild einer Frau - Frauen wie sie die Gemeinde tragen und gestalten. Nicht wenige Frauen in der Matthäusgemeinde teilten das Schicksal der Darstellung in dieser Figur. Vielleicht ist dies auch ein Grund für die schwierigen Beziehung zu dieser etwas gewöhnungsbedürftigen Plastik, die ihren richtigen Platz wohl immer noch nicht gefunden hat. (af)

Achim Fürniss, 2007 (alle Rechte beim Autor)

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